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A bisserl Arminia

Misha schreibt aus Wien in diesem Blog über das Dasein als Fan, den Verein, die Liebe zu Arminia, das besonders sein, wenn man eben von hier wech ist und dann wirklich wech ist und wie das Ganze so in Wien aussieht, da wo er nun lebt, auch wenn sein Herz nie von diesem Verein wech gehen wird.

Ältere unter uns werden sich erinnern: Vor einigen Jahren gab es eine Kampagne, die selbstironisch und recht clever das Leben als Arminia-Fan aufgriff. Leiden schafft Leidenschaft ging der Spruch, der mittlerweile unter uns Arminen ein geflügeltes Wort ist.

Nun haben wir schon beim letzten Mal festgestellt, dass Arminia natürlich nicht der einzige Club ist, der regelmäßig die Leidensfähigkeit seiner Fans auf die Probe stellt – aber natürlich spürt man alles, was dem Herzensclub passiert, noch mal intensiver. Und ja, am genannten Spruch ist eine Menge dran.

Ob es das eine Spiel gegen Darmstadt war, die bangen Stunden 2010 im Rathaus, oder der Bundesliga-Skandal der 70er – jeder von uns hat eine Leidensgeschichte rund um die Arminia zu erzählen, die uns noch mehr mit dem Club verbunden hat, als ohnehin schon. Gegen diese Episoden erscheint unsere derzeitige Situation fast schon harmlos. Klar, über den letzten Spieltag hüllen wir am besten den Mantel des Schweigens, und über das Pech mit den Kopfverletzungen erst recht, aber die Tabelle lügt nicht: Tatsächlich ist noch nicht aller Tage Abend. Ois hoib so wüd, würde der Österreicher jetzt lakonisch sagen.

Die Liebe zum Fußballclub ist halt wirklich so wie in einer Familie: Man lacht und flucht, man feiert und leidet, aber am Ende des Tages bleibt man sich dennoch leidenschaftlich verbunden.

Aber wenn ich ehrlich bin greift mir das mit der Leidenschaft, die durch Leiden geschaffen wird, zu kurz. Ja, das ist sicherlich ein Faktor, aber er ist nicht der einzige. Denn über diese großen, schicksalhaften Geschichten hinaus gibt es so viele andere tolle Geschichten über die Arminia zu erzählen, die mich immer wieder daran erinnern, wie stolz ich auf diesen Club bin, egal, ob wir jetzt in der ersten, zweiten oder dritten Liga spielen.

Zum Beispiel die Erinnerungskultur rund um Nationalsozialismus und Holocaust, die der Club pflegt und transparent die eigene Geschichte aufarbeitet.

Zum Beispiel diese Woche, als sich Arminia in Social Media klar zum Thema WM in Katar positionierte. Womöglich ein Zufall, dass dies genau in der Heimspielwoche gegen den FC Bayern passierte. So oder so: Es macht mich stolz, dass Arminia fest zu den eigenen Werten steht.

Aber noch viel mehr freut mich eine Entwicklung, die ich seit einiger Zeit begeistert verfolge: Das ausgebaute Engagement im Bereich Inklusivität speziell für Menschen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen, das weit über Rollstuhlplätze hinausgeht. So hat der Club seit Kurzem in Kooperation mit der Organisation Centre for Access to Football in Europe einen dezidierten Beauftragten, einen sogenannten Disability Access Officer, der Arminia in Sachen Barrierefreiheit berät. Ein Beispiel, das hoffentlich großflächig in den Ligen Schule macht. Fußball ist der größte Sport der Welt, und sollte daher so gut wie möglich dafür sorgen, dass so viele Menschen wie möglich in den Genuss des Live-Erlebnisses kommen.

In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich auch noch mal die Initiative hervorheben, eine Loge für Menschen mit Autismus im Speziellen sowie Menschen, die mit chronischen Reizüberflutungen, Angsterkrankungen und Ähnlichem zu kämpfen haben. Arminia Bielefeld ist damit Vorreiter im deutschen Fußball. Und das freut mich auch aus ganz persönlichen Gründen.

Ich bin erst im Erwachsenen-Alter mit Autismus diagnostiziert worden. Reizüberflutungen sind leider ein großes Thema für mich und sie werden schlimmer, je älter ich werde. Als ich noch in Bielefeld wohnte, war ich bei jedem Spiel auf der Südtribüne. Im Nachhinein ist es für mich kaum vorstellbar, dass ich mich regelmäßig unter die Menschenmassen mittenrein in all die Sinnesreize getraut habe. Aber ich weiß auch, dass es mich damals belastet hat, ohne, dass ich wusste, warum. Der sogenannte Sensory Overload äußert sich nach außen dann oft zum Beispiel in Wutausbrüchen. Das fällt im Stadion vielleicht nicht auf; Wutausbrüche im Stadion sind ganz sicher nicht nur ein Symptom von Autist*innen. Aber ich weiß jetzt, dass viele Situationen, in denen es mir im Stadion schlecht ging und ich es verbal am Spielfeld und manchmal auch den Umstehenden ausließ mit eben dieser außerordentlichen Reizüberflutung zu tun hatten.

Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal in der SchücoArena bin. Und ich schließe nicht aus, dass ich einen Gang auf die Südtribüne zumindest noch mal versuchen würde. Aber es beruhigt mich sehr zu wissen, dass es einen Ort gibt im Stadion, an den ich mich zurückziehen kann, wenn es mir dann doch nicht gut geht. Und das ist eine Geschichte, die meine Leidenschaft für Arminia mindestens genauso stark, wenn nicht noch mehr, wachsen lässt, wie jedes leidige Erlebnis.

So gesehen: Wenn man sich mal vor Augen führt, wie viel Gutes Arminia abseits des Spielfelds für die Gesellschaft macht, relativiert es alles andere ein bisschen. Klar, grad ist nicht alles schön, aber andererseits: Ois hoib so wüd.


Geboren auf Gibraltar (Das sind ne Menge in die Wiege gelegte Groundhoppingpunkte) und zwar in dem Jahr, in dem unser DSC das allererste Mal überhaupt in der 1. Bundesliga war - 1971 - und mit kleinen Unterbrechungen auch immer noch ist. Drei Jahre später zog der Junge Bub dann nach Bielefeld und verlor sein Herz, seine Leidenschaft und manchmal auch sein Blutdruck an die Blauen.

Misha Verollet ist Exil-Bielefelder in Wien. Er lebt seit 2012 in der österreichischen Hauptstadt, wo er als Werbestratege arbeitet. Wenn er nicht gerade auf Sky jedes Spiel der Arminia verfolgt, produziert er unter anderem als FUTURE NIGHTMARES LoFi Beats und Ambient Musik. Twitter: @ftrnghtmrs


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